Offener Brief zur Weltnaturkonferenz 2022

Offener Brief zur Weltnaturkonferenz 2022

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15. UN-Weltnaturkonferenz: Unsere Zukunft in Ihren Händen!

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,
sehr geehrte Frau Ministerin Lemke,
sehr geehrter Herr Minister Özdemir,
sehr geehrte Frau Ministerin Schulze,

jede achte Tier- oder Pflanzenart ist vom Aussterben bedroht und könnte in den nächsten Jahrzehnten für immer von unserer Erde verschwinden. Natürliche Lebensräume nehmen stark ab, allein die Hälfte der Korallenriffe sind verlorengegangen, Primärwälder schwinden weiterhin dramatisch.1 Machen wir weiter wie bisher, schlittern wir in ein sechstes globales Massenaussterben.2,3

Funktionsfähige, genetisch vielfältige und artenreiche Ökosysteme versorgen uns mit Nahrung, sauberem Wasser und Luft. Sie sind für uns Menschen überlebenswichtig. Sie sind unsere Lebensgrundlage und stehen eigentlich laut Artikel 20a unserer Verfassung unter besonderem Schutz.

Die Wissenschaft ist sich einig: Der globale Biodiversitätsverlust ist menschengemacht1, die Klimakrise hat dabei einen zunehmenden Anteil. Das bedeutet gleichzeitig, dass wir sowohl die Möglichkeit als auch die Verantwortung haben, einen Kollaps der Ökosysteme zu verhindern. Bisherige politische Fehleranalysen zu Ursachen und Treibern des Biodiversitätsverlusts sind jedoch halbherzig und Maßnahmen zur Trendumkehr unzureichend. Bisher führt der bestehende sozioökonomische Rahmen unserer Gesellschaft zur Zerstörung der Natur.

In diesen Tagen trifft sich die Weltgemeinschaft, um auf der 15. UN-Weltnaturkonferenz in Montreal (Kanada) Wege zu finden, die Biodiversitätskrise mit einem globalen Rahmenabkommen zu stoppen. Die Finanzierung ist dabei eine Schlüsselfrage der Verhandlungen. Mit der Zusage von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr hat Deutschland ein erstes wichtiges Zeichen gesetzt. In Montreal müssen Sie und die Bundesregierung nun auch andere Industrienationen zu Finanzleistungen drängen und sich mit Nachdruck für ein nicht nur ambitioniertes, sondern auch umsetzungsorientiertes Rahmenabkommen einsetzen. Wir fordern Sie auf, dafür zu sorgen, dass im Abkommen die folgenden Punkte enthalten sind:

  1. 30×30-Ziel: Im Jahr 2030 müssen mindestens 30 % der Land- und Ozeanflächen unter qualitativ hochwertigem Naturschutz stehen. Die Rechte und traditionellen Nutzungsformen indigener Völker und lokaler Gemeinschaften – die erwiesenermaßen die Mehrzahl intakter Ökosysteme erfolgreich schützen und verteidigen – müssen gesichert werden.1
  2. Wirtschaft und Finanzen: Umweltschädliche Subventionen sind schnellstmöglich zu stoppen und in biodiversitätsfördernde Maßnahmen umzulenken. Umweltschädliche Produkte müssen entsprechend ihrer Schadwirkung bepreist werden. Die Externalisierung von Umweltschäden muss gestoppt werden. Zukunftsfähige Wirtschaftspolitik kann nur innerhalb der planetaren Grenzen erfolgen.
  3. Wiederherstellung: 20 % der degradierten Land- und Meeresflächen müssen bis 2030 dringend als funktionierende Ökosysteme wiederhergestellt werden. Gleichzeitig muss der Erhalt intakter Lebensräume Vorrang haben. Um die Flächeninanspruchnahme vor allem im Globalen Norden für Siedlung, Verkehr u.a. auf Netto-Null zu begrenzen, müssen Flächen entsiegelt bzw. Infrastruktur rückgebaut werden.
  4. Landnutzung: Um Platz für Naturräume zu schaffen und gleichzeitig die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können, müssen aus der vorhandenen landwirtschaftlich genutzten Fläche mehr direkte Nahrungsmittel hervorgehen. Hierzu ist insbesondere eine drastische Reduktion der industriellen Tierhaltung um ca. 75 % und die Etablierung alternativer Bewirtschaftungsformen nötig. Gleichzeitig muss Land- und Meeresnutzung ohne weitere Intensivierung überall nachhaltig werden.4-6
  5. Umsetzung: Verbindliche Regelungen mit klaren Indikatoren müssen sicherstellen, dass gesteckte Ziele umgesetzt und erreicht werden. Alle Staaten müssen regelmäßig über die Erreichung der Ziele Rechenschaft ablegen und bei Nichterreichung nachbessern.

Das kommende Jahrzehnt ist entscheidend, um den Biodiversitätsverlust zu stoppen. Dafür braucht es ambitionierte Maßnahmen, die sozial gerecht sein müssen und nicht gegen den Klimaschutz ausgespielt werden dürfen. Außerdem braucht es auf nationaler Ebene eine gesetzliche Regelung mit verbindlichen und einklagbaren Zielen, welche den Staat zum ganzheitlichen Schutz von Ökosystemen und Biodiversität verpflichtet. In dieser müssen Ziele für alle Schutzgüter (Ökosysteme, Boden, Wasser, Luft, Klima, Arten, etc.) festgelegt werden.

Klimawandel, Biodiversitätskrise, Landnutzungskonflikte; all diese Krisen sind miteinander verbunden und verstärken sich gegenseitig. Auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, steigende Nahrungsmittel- und Energiepreise und eine aufziehende Wirtschaftskrise fordern schnelles Handeln der Politik, dürfen jedoch nicht zum Stillstand in der Naturschutz- und Klimapolitik führen.

Wir können eine Welt schaffen, in der junge Menschen eine Perspektive auf eine lebenswerte Zukunft haben, auf ein Leben in Gesundheit, Frieden, mit sicherer Nahrungs- und Wasserversorgung durch intakte Ökosysteme. Eine Welt, in der wir alle in einem harmonischen und respektvollen Verhältnis mit der Natur leben.

Wir fordern Sie daher auf, Ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Machen Sie Ihren Einfluss in der EU und weltweit geltend und setzen Sie sich mit Schwung für ein starkes Biodiversitätsabkommen ein. Unsere Zukunft liegt in Ihren Händen.

Petition jetzt unterschreiben: https://chng.it/FBkm4PhRQB

Bibliographie
    1. IPBES. Global assessment report on biodiversity and ecosystem services of the Intergovernmental Science-Policy
    Platform on Biodiversity and Ecosystem Services. https://zenodo.org/record/6417333 (2019)
    doi:10.5281/ZENODO.6417333.
    2. Barnosky, A. D. et al. Has the Earth’s sixth mass extinction already arrived? Nature 471, 51–57 (2011).
    3. Cowie, R. H., Bouchet, P. & Fontaine, B. The Sixth Mass Extinction: fact, fiction or speculation? Biological Reviews 97,
    640–663 (2022).
    4. Parlasca, M. C. & Qaim, M. Meat Consumption and Sustainability. Annu. Rev. Resour. Econ. 14, 17–41 (2022).
    5. Scheffler, M. & Wiegmann, K. Gesundes Essen fürs Klima – Auswirkungen der Planetary Health Diet auf den Landwirtschaftssektor: Produktion, Klimaschutz, Agrarflächen.
    https://www.oeko.de/fileadmin/oekodoc/Planetary_Health_Diet_-Landwirtschaft.pdf (2022).
    6. Willett, W. et al. Food in the Anthropocene: the EAT–Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems. The Lancet 393, 447–492 (2019).

Autor*innen:

Landelin Winter, FridaysForFuture
Felician Heim, Deutsche Jugenddelegation zur CBD COP 15 (NAJU)
Celina Last, Greenpeace-Jugend
Filibert Heim, Biodiversitätsstudent Uni Göttingen
Leon Janas, BUNDjugend
Henrike Cremer, FridaysForFuture
Ole Horn, FridaysForFuture
Caroline Friedrich, FridaysForFuture
Nils Krauß, FridaysForFuture
Verena Roeser
Luca Salis

Erstunterzeichner*innen

Prof. Dr. Josef Settele (IPBES, UFZ, iDiv, SRU)
Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Otto Pörtner (IPBES & IPCC)
Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese (Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums)
Prof. Dr. Maja Göpel (Leuphana Universität Lüneburg)
Prof. Stefan Rahmstorf (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung)
Prof. Dr. Wolfgang Lucht (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung)
Prof. em. Dr. Michael Succow (Michael Succow Stiftung)
Prof. Dr. Klement Tockner (Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung)
Dr. Gregor Hagedorn (Museum für Naturkunde Berlin)
Prof. Dr. habil. Pierre Ibisch (Hochschule für Nachhaltige Entwicklung)
Prof. Dr. Antje Boetius (Alfred-Wegener-Institut Bremerhaven)
Dr. Franziska Tanneberger (Greifswald Moor Centrum)
Prof. Dr. Inga Schleip (Hochschule für Nachhaltige Entwicklung & Biodiversitätsbeirat)
Christoph Heinrich, (Geschäftsführer des WWF)
Luisa Neubauer (Aktivistin)
Carola Rackete (Aktivistin)

Unterstützende Organisationen:

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Bitte unterschreiben Sie nur, wenn Sie Wissenschaftler*in sind oder für eine NGO/einen Verein unterschreiben. Sofern Sie für letzteres unterschreiben, schicken Sie bitte direkt ein Logo an die unten angegebene E-Mail-Adresse.

    Die Initiative:
    Hinter dem offenen Brief zur Weltnaturkonferenz in Montreal steht eine kleine Gruppe junger Umwelt-Aktivist*innen aus verschiedenen Verbänden und Organisationen. Bei der Erarbeitung der Forderungen und dem Verfassen des Briefes haben renommierte Wissenschaftler*innen unterstützt.

    Bei Fragen zum Brief und/oder zur Initiative wendet euch gerne an togetherforbiodiversity[at]fridaysforfuture.de.

    Open Letter on the CBD COP 15

    COP 15: Our future in your hands!

    Dear Chancellor Scholz,
    Dear Minister Lemke,
    Dear Minister Özdemir,
    Dear Minister Schulze,

    one in eight animal or plant species is in danger of extinction and could disappear from our planet forever in the next few years. Natural habitats are declining rapidly, half of the coral reefs alone have been lost, primary forests continue to shrink dramatically.1 If we continue with our business as usual, we will slide into a sixth global mass extinction of species.2,3

    Ecosystems that are well-functioning, genetically diverse and rich in species provide us with food, clean water and air. They are essential for our survival. They are our basis of life and are under special protection according to Article 20a of the German Constitution.

    Science agrees: the global loss of biodiversity is man-made.1 This means that we have both the opportunity and the responsibility to prevent the collapse of ecosystems. To date policy failure analyses on the causes and drivers of biodiversity loss are only halfhearted and the measures taken to reverse the trend are insufficient. So far, the existing socio-economic framework of our society is leading to the destruction of nature.

    These days, the global community is meeting at the 15th UN World Conference on Nature in Montreal, Canada, to find ways to stop the biodiversity crisis with a Global Biodiversity Framework. A key issue in the negotiations will be the funding. Germany has sent out a first important signal by pledging 1.5 billion euros per year. In Montreal, the German government must now also urge other industrialized nations to make financial contributions and strongly advocate not only an ambitious but also implementation-oriented framework agreement. We call on you to ensure that the following points are included in the agreement:

    1. 30×30 target: 30×30 target: By 2030, at least 30% of land and ocean areas must be under high quality nature conservation. The rights and traditional land cultivation practices of indigenious peoples and local communities – who have been shown to successfully protect and defend the majority of successfully protect and defend the majority of intact ecosystems – must be safeguarded.1
    2. Economics and finance: Environmentally harmful subsidies must be stopped as soon as possible and redirected to biodiversity-enhancing measures. Environmentally harmful products must be priced according to their harmful effects. Sustainable economic policy can only be conducted within planetary boundaries.
    3. Restoration: 20% of the world’s land and sea areas urgently need to be restored as functioning ecosystems. At the same time, preserving intact habitats must be a priority. In order to limit land use to net zero for settlement, transport, etc., especially in the Global North, land must be unsealed or infrastructure deconstructed.
    4. Land use: In order to create space for natural areas and at the same time feed the growing world population, we need more direct food from the available agriculturally used land. This requires in particular a drastic reduction of industrial livestock farming by about 75 % and the establishment of alternative forms of agriculture. At the same time, land and sea use must become sustainable everywhere without further intensification. 4-6
    5. Implementation: Binding regulations with clear indicators must ensure that the agreed upon targets will be met and implemented. All states must regularly report on their achievement of the targets and must be bound to make improvements in the event of non-achievement.

    The coming decade is crucial to halting biodiversity loss. This requires ambitious measures that must be socially just and not played off against climate protection. In addition, a legal regulation with binding and enforceable targets that commits the state to the holistic protection of ecosystems and biodiversity is needed at national level. This must include targets for all protected goods (ecosystems, soil, water, air, climate, species, etc.).

    Climate change, biodiversity crisis, land use conflicts – all these crises are interconnected and mutually reinforcing. Also, the Russian war of aggression against Ukraine, rising food and energy prices and a looming economic crisis also call for swift action on the part of policymakers. However, they may not lead to a standstill in nature conservation and climate policy.

    We can create a world in which young people have a perspective for a future worth living, for a life in health, peace, with a secure food and water supply through intact ecosystems. A world in which we all live in a harmonious and respectful relationship with nature.

    We therefore call on you to live up to your responsibility. Use your influence in the EU and globally, and campaign vigorously for a strong biodiversity agreement. Our future is in your hands.

    Bibliography
      1. IPBES. Global assessment report on biodiversity and ecosystem services of the Intergovernmental Science-Policy
      Platform on Biodiversity and Ecosystem Services. https://zenodo.org/record/6417333 (2019)
      doi:10.5281/ZENODO.6417333.
      2. Barnosky, A. D. et al. Has the Earth’s sixth mass extinction already arrived? Nature 471, 51–57 (2011).
      3. Cowie, R. H., Bouchet, P. & Fontaine, B. The Sixth Mass Extinction: fact, fiction or speculation? Biological Reviews 97,
      640–663 (2022).
      4. Parlasca, M. C. & Qaim, M. Meat Consumption and Sustainability. Annu. Rev. Resour. Econ. 14, 17–41 (2022).
      5. Scheffler, M. & Wiegmann, K. Gesundes Essen fürs Klima – Auswirkungen der Planetary Health Diet auf den Landwirtschaftssektor: Produktion, Klimaschutz, Agrarflächen.
      https://www.oeko.de/fileadmin/oekodoc/Planetary_Health_Diet_-Landwirtschaft.pdf (2022).
      6. Willett, W. et al. Food in the Anthropocene: the EAT–Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems. The Lancet 393, 447–492 (2019).

    Authors:

    Landelin Winter, FridaysForFuture
    Felician Heim, Deutsche Jugenddelegation zur CBD COP 15 (NAJU)
    Celina Last, Greenpeace-Jugend
    Filibert Heim, Biodiversitätsstudent Uni Göttingen
    Leon Janas, BUNDjugend
    Henrike Cremer, FridaysForFuture
    Ole Horn, FridaysForFuture
    Caroline Friedrich, FridaysForFuture
    Nils Krauß, FridaysForFuture
    Verena Roeser
    Luca Salis

    Initial signatories

    Prof. Dr. Josef Settele (IPBES, UFZ, iDiv, SRU)
    Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Otto Pörtner (IPBES & IPCC)
    Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese (Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums)
    Prof. Dr. Maja Göpel (Leuphana Universität Lüneburg)
    Prof. Stefan Rahmstorf (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung)
    Prof. Dr. Wolfgang Lucht (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung)
    Prof. em. Dr. Michael Succow (Michael Succow Stiftung)
    Prof. Dr. Klement Tockner (Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung)
    Dr. Gregor Hagedorn (Museum für Naturkunde Berlin)
    Prof. Dr. habil. Pierre Ibisch (Hochschule für Nachhaltige Entwicklung)
    Prof. Dr. Antje Boetius (Alfred-Wegener-Institut Bremerhaven)
    Dr. Franziska Tanneberger (Greifswald Moor Centrum)
    Prof. Dr. Inga Schleip (Hochschule für Nachhaltige Entwicklung & Biodiversitätsbeirat)
    Christoph Heinrich, (Geschäftsführer des WWF)
    Luisa Neubauer (Aktivistin)
    Carola Rackete (Aktivistin)

    Supporting Associations

    Sign now:

      The Initiative:
      Behind the open letter to the World Conference on Nature in Montreal stands a small group of young environmental activists from various groups and organizations. Renowned scientists assisted in the development of the demands and the drafting of the letter.

      If you have any questions about the letter and/or the initiative, please contact us via
      togetherforbiodiversity[at]fridaysforfuture.de.


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